Montag, 22. Januar 2018

[Rezension] Die Rotzlöffel-Republik





  • von Tanja Leitsch, Susanne Schnieder
    mit Carsten Tergast 
  • Heyne
  • 231 Seiten 
  • ISBN:  978-3-7110-0133-7
  • Preis: 20,00 Euro [D] 
  • Gebundene Ausgabe






Zwischen vollen Windeln, Hygienevorschriften, "kreativer" Raumplanung, fehlenden Kollegen, überforderten und inkonsequenten Eltern, Fortbildungswahn, Beobachtungsbögen, Portfolio und neuen pädagogischen Ansätzen spielt sich der Alltag der Erzieher ab. Oftmals geht dabei die wertvolle und begrenzte Zeit am Kind unter. Genau das ist aber eigentlich die Hauptaufgabe einer Erzieherin, nämlich, die Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten und zu fördern. 
Die Autorinnen, beide langjährig im pädagogischen Bereich tätig, gewähren anhand einiger Fallbeispiele einen kleinen Einblick, in die (eigentlich schöne, aber) manchmal erschreckende Welt des Kindergartens.

 
Die Bildungspolitik hat (leider) in der Theorie viele Ideen, die alle in die Praxis umgesetzt werden sollen und den Erziehern damit tagtäglich die Arbeit und das Leben erschweren. Leider deshalb, weil die Vorschläge zwar "gut gemeint" sind, aber gefühlt meistens von Menschen erdacht wurden, die selten einen Kindergarten länger als fünf Minuten von innen gesehen haben, seit sie selbst aus dem Alter heraus sind. 
Die Autorinnen zeigen in ihrem Buch mehrfach auf, wie die deutsche Bürokratie eine vernünftige Arbeit durch nie enden wollenden Anforderungen stellenweise unmöglich macht.
Aber Hygienevorschriften, Dokumentationspflicht und Qualitätssicherung (in Form von Fragenbogen mit 1000 und mehr Fragen) sind nicht das einzige Problem, dem sich Erzieher immer wieder gegenübersehen.

Das mag zum Einen damit zusammen hängen, dass sich die Aufgabenbereiche der Erzieher (nicht Kindergärtner!) mit der Zeit stark verändert und vor allem vermehrt haben, gleichzeitig aber die Kindergartentante in den Köpfen der Erwachsenen verankert ist, die ja nur spielen, singen und basteln muss.
Viele Eltern erwarten, dass ihre Kinder heutzutage in der Kita das Trockenwerden, Anziehen, Zähneputzen und gesellschaftliche Umgangsformen beigebracht bekomen, leisten aber selbst wenig bis keine Vorarbeit. Die Erzieher dürfen dann neben Bildung, Betreuung, Begleitung, Integration, Inklusion und Partizipation noch Schadensbegrenzung betreiben und die elterlichen Erziehungsmängel reparieren und ausgleichen. Kritik an den Eltern ist dabei nicht erwünscht und überhaupt völlig unangebracht.
Ein weiteres großes Hindernis bei der Umsetzung der bildungspolitischen Vorgaben, sind Raumausstattung und Personalschlüssel, die beide stark von der finanziellen Lage der Kita und der fehlenden Unterstützung durch das Land abhängen. Kleine Räume, schlechter Schallschutz, ausgebildete aber ungeeignete, kranke oder überhaupt fehlende Kollegen (Bertelsmann Studie 2014: Es fehlen 120 000 Erzieher), die Liste kann endlos fortgeführt werden.
Fakt ist, der Alltag und die Arbeit von Erziehern wird völlig unterschätzt und Tanja Leitsch und Susanne Schnieder beschreiben ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, wie es in viel zu vielen Kindergärten zugeht. Ihre Berichte beruhen auf den zahlreichen Erfahrungen von Kollegen und zeigen ungeschönt, wie es hinter manchen  Kulissen aussieht.
Nützliche Verbesserungsvorschläge, die im direkten Arbeitsumfeld umgesetzt für Auftrieb sorgen könnten, führen die Autorinnen am Ende des Buches auf und betonen noch einmal den Grundgedanke, der dem Ganzen zugrunde liegen sollte. Kinder sollen Kind sein dürfen und nicht funktionieren müssen und Erzieher und Eltern gleichermaßen sind dazu verpflichtet sie in ihrer Entwicklung individuell zu unterstützen. Das bedeutet auch Regeln einfordern, Grenzen setzen und Konsequenzen ziehen.

Der Titel des Buches klingt provokativ und anfangs fiel es mir schwer, mich den Gedanken und Schilderungen der Autorinnen zu öffnen. Ja, es läuft viel zu viel schief in der Bildungspolitik und oft gibt es Tage, an denen man nach Hause kommt und nicht weiß, wie man das alles geschafft hat, aber der Frust und die "Streitsucht", die einem teilweise zwischen den Zeilen anspringen, fand ich persönlich etwas zu extrem.
Es gibt mindestens genau so viele schöne Situationen, die man hätte aufführen können, um deutlich zu machen, warum es so wichtig ist, das bestehende, fehlerbehaftete System so schnell wie möglich zu verändern.
In meinem Kopf hat sich außerdem der Gedanke geformt, dass Eltern, die dieses Buch lesen, einen ganz schönen Schrecken bekommen könnten. Ja, es ist gut, auf die Missstände hinzuweisen, aber Angst und Vertrauensverlust bringen uns nicht weiter.
Insgesamt ein aufrüttelndes Buch, das Veränderungen fordert und Lösungsvorschläge liefert. Einzig die positive Seite des Erzieherberufs hat mir gefehlt und damit wurde ein allzu düsteres Bild von einer eigentlich so erfüllenden Berufung gezeichnet - dafür ein Punkt Abzug.



1 Kommentar:

  1. Hey =)

    Das ist ja mal ein interessantes Buch. Ich kann mir auch denken, dass es auf der anderen Seite so viele schöne Momente in Kindergärten gibt. Ich hab das selbst schon erlebt. Vielleicht ist das Buch etwas einseitig, aber klingt definitiv lesenswert =)

    LG
    Anja

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Hallo Du,
wie schön, dass du dich hierher verirrt hast.Ich wünsche Dir viel Spaß beim Stöbern!


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